NEBELWELTEN

Lotta sah sich um. Leider sah sie nicht allzu viel, denn der Nebel, der sich über die Niederungen gelegt hatte, wurde immer dichter. Kurzfristig auftretende Nebelbildungen waren in den Tallagen typisch für Oktober, in diesem Jahr trat er allerdings deutlich häufiger auf als gewohnt. Das Radfahren war zu gefährlich geworden, denn die Autos, die teilweise immer noch verboten schnell unterwegs waren, sahen sie erst spät und fuhren beängstigend nah an ihr vorbei. Nein, im Moment wäre es lebensgefährlich gewesen, ihre Fahrt mit dem Rad fortzusetzen. Aus diesem Grund stieg Lotta ab und schob ihr Fahrrad auf einen Fußgängerweg, denn das erschien ihr aktuell die beste Option zu sein. Sie hoffte, alsbald in den nächsten Ort zu kommen, wo sie im Eiscafé diesen seltsamen Nebel aussitzen wollte.
Im Moment allerdings fehlte ihr ihre gewohnt gute Orientierung, denn durch den Nebel konnte sie keine Entfernungen mehr einschätzen und die bekannten Orientierungspunkte verloren sich irgendwo im dichten Grau der Nebelschwaden. „Kann ja nicht ewig so weiter gehen“ dachte sich Lotta und schob ihr Fahrrad einfach immer weiter, wobei sie darauf achtete, auf dem Gehweg zu bleiben. Die Geräusche der Autos wurden nach wenigen Metern genauso verschluckt wie das Vogelgezwitscher und der Lärm der Kreissäge in der Nähe. Abgesehen davon, dass sie mittlerweile wie durch Watte vor sich hin tappte, fröstelte Lotta ein wenig. Sie schlüpfte sie in ihre Strickjacke, die sie auf dem Gepäckträger eingeklemmt hatte und gratulierte sich still dazu, dass sie sich zu Hause gegen ihre Shorts und zu Gunsten ihrer langen Jeans entschieden hatte. Sie ging etwas schneller, damit ihr wieder warm wurde, doch der Weg wurde immer schmaler und sie musste vorsichtig laufen um überhaupt auf dem Gehweg zu bleiben. Es dauerte nicht lang, da passierte das, was sie schon einige Zeit befürchtet hatte: der Weg endete. Einfach so. „Na super!“ ärgerte sich Lotta. „Sehen kann ich bei dem verdammten Nebel nix mehr und hab‘ auch noch einen Weg erwischt, der nirgendwo hin führt. Soll ich jetzt fliegen, oder was.“ Sie versuchte, durch den Nebel irgendwas in der Ferne zu erkennen, aber es war zwecklos, es war, als hätte sich die Luft um Lotta verdichtet. „So ein Mist! Blöde Klimaerwärmung, sowas hab‘ ich ja noch nie gesehen.“ Lotta war nun echt genervt und wenn sie es auch nicht zugegeben hätte: etwas unheimlich war ihr dieser Nebel schon irgendwie.
Lotta ließ sich allerdings nicht so leicht ins Boxhorn jagen. Dann würde sie sich eben einen anderen Weg suchen. Sie drehte samt Fahrrad um und ging entschlossen den Weg zurück in Richtung Straße. Dort würde es dann schon weiter gehen und irgendwann musste sich dieser vermaledeite Nebel auch mal lichten. Sie eilte auf dem Weg entlang und späte gleichzeitig voraus, denn sie rechnete jeden Moment damit, dass die Straße wieder auftauchte. Das tat sie aber nicht. Nichts tauchte auf, obwohl sie sicher schon das Doppelte des Wegs zurückgelegt hatte, den sie in die andere Richtung gegangen war. Hatte sie eine Abzweigung verpasst? Zweifelnd ging Lotta langsamer weiter und grübelte darüber nach, ob sie wirklich noch auf dem richtigen Weg war, als plötzlich ein breiter, dunkelrot gepflasterter Weg nach links abbog. Lotta hätte schwören können, dass der auf dem Hinweg noch nicht da gewesen war. Nach der Pleite vorhin sah dieser breite Weg allerdings ausgesprochen vertrauenerweckend aus. Egal, entschied Lotta, dieser Weg sah immerhin so aus, als würde er alsbald irgendwo hinführen und das war schon deutlich mehr, als man von ihrem Weg bislang sagen konnte.
Also folgte Lotta entschlossen dem rot gepflasterten Weg. Der machte viele überflüssige Windungen, teilweise hätte sie schwören können, dass er wieder in die Gegenrichtung führte um dann wieder eine komplette Wendung eine ganz neue Richtung einzuschlagen. Einmal dachte sie sogar, Autos vorbeifahren zu hören, doch der Weg wechselte erneut die Richtung und wieder umfing Lotta nur noch Stille. Ihre Orientierung hatte Lotta schon vor langer Zeit verloren, sie hatte vielmehr das Gefühl, im Kreis zu gehen, mal links rum, mal rechts rum. Fehlte nur noch, dass sie wieder in eine Sackgasse geriet. Sie eilte gleichermaßen besorgt wie genervt auf dem Weg entlang bis sie merkte, dass der Nebel tatsächlich etwas lichter wurde. Das gab ihr mehr Zuversicht, als sie sich eingestehen wollte und so lief sie noch etwas schneller weiter. Es dauerte dennoch eine ganze Weile, bis sich der Nebel soweit gelichtet hatte, dass Lotta sich etwas umsehen konnte. Sie stand… auf dem Markplatz von Neustadt, unweit ihrer alten Wohnung, in der sie mit ihrer Familie gewohnt hatte, als sie noch ganz klein war. Alles sah sehr vertraut aus, der Restnebel verschwand nun ganz und sie konnte sogar in weniger als hundert Metern Entfernung die Haustür zu ihrer alten Wohnung erkennen. Wie damals führte eine kleine Treppe hinauf, das Geländer war etwas verwittert, aber mit zahlreichen kleinen Verstecken, wo sie so oft ihren Kaugummi versteckt hatte, als sie nach Hause kam. Mama hatte ihr Kaugummi verboten, weil er ungesund war und sie sich an ihm hätte verschlucken können. Lotta lächelte bei dem Gedanken.
Auf einmal ging die Tür auf und ein dichter, rotblonder Haarschopf schob sich durch den Türspalt. Lotta klappte die Kinnlade nach unten, als sie sich selbst aus der Tür treten sah… mit einem kleinen Hund im Gefolge, dem sie eifrig den Kopf tätschelte und aufgeregt mit ihm redete. Lotta sah die Szene und konnte ihrem Verstand dennoch nicht glauben. Sie sah sich selbst im Alter von etwa 7 Jahren… sie war in der zweiten Klasse gewesen, als sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte als einen Hund, genauso einen niedlichen Hund, wie sie nun neben ihrem jungen Selbst hertrotten sah. Lotta konnte es nicht fassen. Sie hatte nachts von diesem Hund geträumt, doch in der Realität hatte sie stattdessen eine Schildkröte bekommen. Sie hätte nämlich, so war der Deal, ihre Mathe-Note von einer Vier auf eine Zwei heben müssen, doch ihr war sofort klar gewesen, dass das für sie ein nicht zu erreichendes Ziel war. So hatte sie sich mit ihrer Schildkröte Friedolin zufrieden gegeben.
Die ganze Szene schien sich plötzlich im Nebel aufzulösen. Die Konturen verschwammen und verblassten ganz, bevor sich die Einzelheiten neu zusammenzusetzen schienen. Eine ähnliche Umgebung zeigte sich und doch war sie grundlegend anders. Zu Lotta’s Überraschung stand sie jetzt am Zaun zum Pausenhof ihrer Schule. Der Gong ertönte und wie auf Kommando strömten aus allen Türen Schüler hervor, der Unterricht war zu Ende. An der Linde im Schulhof stand Carsten, Lotta’s Jugendschwarm. Leider blieb die junge Liebe unerfüllt, weil sie sich nie getraut hatte, ihn anzusprechen. Da stand er also, genauso cool und schön, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Mit dem Rücken lässig an die Linde gelehnt, schaute er suchend in die Menge, die aus dem Backsteingebäude quoll. Er wartete auf etwas oder jemand, das war nicht zu übersehen. Aus dem Altbau, in dem damals ihr Klassenzimmer war, kam nun eine kleine Gruppe Mädels ums Eck und Lotta erstarrte, als sie wiederum sich selbst im Alter von 14 Jahren erkannte. Sie sah sich selbst dabei zu, wie ihre Augen suchend über den Pausenhof glitten. Sie sah das Aufleuchten in ihrem 14jährigen Gesicht und ihrem jüngeren Selbst dabei zu, wie sie sich von den Freundinnen trennte, um in Carsten’s Arme zu fallen, der ihr sehnsüchtig entgegen blickte. Es war totaaaal kitschig, doch genau diese Vorstellung hatte Lotta damals als Teenie ständig. Es war der real gewordene Traum von damals. Lotta sah sich selbst fassungslos dabei zu, wie sie diesen Jungen küsste und wusste dabei genau, wie es sich anfühlte, ohne jemals die Erfahrung tatsächlich gemacht zu haben. Das war schon mehr als seltsam… absurd… krass!
Die Szene verblasste plötzlich wieder und bevor Lotta rätseln konnte, was nun passieren würde, stand sie am Rande eines Fußballplatzes. Verwirrt sah sie zu, wie junge Mädels auf dem Platz in Trickots Fußball spielten, während am Spielfeldrand Verwandte und Freunde standen und die Spielerinnen anfeuerten. Nun ahnte Lotta schon, was passieren würde und da sah sie sich selbst, wie sie den Ball zugespielt bekam. Sie dribbelte gekonnt und manövrierte drei Mädels der gegnerischen Mannschaft aus. Sie spielte als Stürmerin und haute den Ball tatsächlich ins Tor. Sie erzielte damit den Siegtreffer und wurde von den Mitspielerinnen umarmt, von den Zuschauern bejubelt. Lotta seufzte. Ja, auch das war ein Traum von ihr gewesen, doch sie hatte sich nie dazu entschließen können, ein festes Mitglied der Mannschaft im Verein von Neustadt zu werden. Dabei wurde ihr durchaus mehrmals gesagt, sie hätte Talent. Aber sie hatte letztendlich immer wieder gekniffen.
Und schon wieder veränderte sich ihre Umgebung. Nun saß sie auf einer Bank vor der Uni, wo sie sich für ein Jura-Studium erkundigt und die Anmeldeunterlagen abgeholt hatte. Lotta erinnerte sich gut an diesen Tag, er lag noch kein Jahr zurück. Sie grübelte lange über dem halb ausgefüllten Anmeldeformular, das sie nach einer gefühlten Ewigkeit dann doch zerknüllt und in den Mülleimer geworfen hatte. Kurz darauf war sie unverrichteter Dinge einfach aufgestanden und gegangen. Lotta wusste also, was ihr nur wenig jüngeres Ich gleich tun würde und seufzte.
„Na, enttäuscht?“ Lotta zuckte heftig zusammen, als sie die Stimme hörte. Sie fuhr herum, doch sie war allein und ihre jüngere Ausgabe schien nichts und niemanden wahrzunehmen. „Ich wollte Dich nicht erschrecken, sorry. Aber ich wollte wissen, ob Du es bereust.“ Die Stimme kam aus dem Nichts, sie schien überall und nirgends zu sein und was das Erstaunlichste daran war die Tatsache, dass es sich um Lotta’s eigene Stimme handelte. „Was? Wer? Was zum Geier geht denn hier vor??“ stammelte Lotta erschrocken. „Du weißt es doch, Du hast es längst erraten. Also sag‘ mir: bedauerst Du es?“ Lotta schwieg. Sie war durcheinander, fühlte sich ertappt und wusste doch genau, was die Stimme von ihr wollte. Sie atmete tief ein und ließ langsam die Luft aus ihren Lungen. Sie verstand nicht, was vor sich ging, aber sie erriet, dass es um all ihre Wünsche und Träume ging, die sie gehabt hatte, aber die sie nie versucht hatte zu verwirklichen. Das war der Teil, bei dem sie sich ertappt fühlte.
„Ich weiß nicht recht. Wäre es denn wirklich so gekommen, wie ich es gesehen habe, also wie ich es mir vorstellt hatte? Oder hätte ich nicht etwa versagt oder mich fürchterlich blamiert?“ Lotta sprach das einfach mal so in den Raum hinein. Prompt kam die Antwort in ihrer eigenen Stimme: „Wer weiß das schon? Wir reden hier von Möglichkeiten, von Dingen mit dickem Konjunktiv, wir werden nie erfahren, was gewesen wäre. Es sind Träume, die wie Seifenblasen zerplatzt sind, weil sie nicht mit Leben erfüllt wurden.“ Die Stimme verstummte und das Schweigen, das folgte, war sehr laut. „Ach… Träume … Träume sind Schäume! Wär‘ ohnehin nix aus alldem geworden, ich hatte mir das alles nur so schön zurechtgelegt.“ Lotta fühlte sich, als ob sie sich rechtfertigen sollte und genau das machte sie regelrecht wütend. „Als ob das immer so einfach wäre. Für den Hund hätte ich mich in Mathe auf eine Zwei im Zeugnis hocharbeiten müssen. Von einer Vier! Das ist doch sowas von unrealistisch, das wäre doch gar nicht zu schaffen gewesen.“ Sie hätte nicht sagen können wieso, aber Lotta schimpfte und redete auf ihr junges Ich ein, das immer noch auf der Bank saß, mit der Bewerbung um einen Studienplatz für Jura auf dem Schoß.
Ich hatte doch gar keine andere Wahl…“ „DOCH!!! Doch Du hattest die Wahl, mach‘ Dir nichts vor. Immer. Damals und heute. Und Du weißt das“ widersprach ihr ihre eigene Stimme. Lotta setzte zu einer Entgegnung an, ließ aber dann die Schultern fallen und sagte mehr zu sich als zu der Stimme: „Tja, vielleicht hätte ich es versuchen sollen. Dennoch… ich bin nicht sicher, ob ich so einen Rückschlag verkraftet hätte.“
Lotta wartete unbehaglich auf eine Antwort, doch die Stimme schwieg. Nach einer ganzen Weile kam die Frage, die Lotta befürchtet hatte: „Fühlt es sich denn jetzt anders an?“ Lotta holte tief Luft und stieß sie wieder aus. „Nein. Es fühlt sich nicht gut an. Ganz und gar nicht.“ Dieses Eingeständnis hing schwer im Raum, als könnte man es mit Händen greifen. Es drückte auf Lotta’s Gemüt, schon ganz lange, nur hatte sie es nie wahr haben wollen. „Eigentlich…“ fuhr Lotta zögernd fort „fühlt es sich an, als hätte ich total versagt.“ „Wieso?“ fragte die Stimme. Lotta überlegte kurz. „Weil ich’s noch nicht einmal versucht habe.“ Schweigen erfüllte den Raum. Es klang laut und bedeutungsschwer. „Ich hab‘ vor lauter Angst gekniffen, immer“ fügte Lotta nach einer Weile hinzu und ließ den Kopf hängen.
„Was genau hat Dir so große Angst gemacht?“ fragte die Stimme. Sie klang völlig normal, ohne Groll und ohne Mitleid. Das half Lotta, sich objektiv mit der Vorstellung zu beschäftigen, die sie immer wieder dazu bewogen hatte, sich Herausforderungen gar nicht erst zu stellen. „Also… äh… eigentlich hab‘ ich mir selbst nie zugetraut, dass ich das schaffen könnte. Deshalb hab‘ ich vor mir selbst und vor Anderen so getan, als wollte ich das gar nicht. Doch die Wahrheit ist: ich glaubte nicht daran, dass ich das Zeug dazu hätte, eine Zwei in Mathe zu erreichen, gut genug für eine Fußballmannschaft zu sein oder gar liebenswert genug für einen Jungen wie Carsten.“ Lotta holte tief Luft. Das war sie: die beschämende Wahrheit. Nun hatte sie ihre tiefsten Befürchtungen ausgesprochen. Lotta senkte den Kopf und ließ die Schultern fallen.
Eine ganze Weile tat sich nichts. Die Stimme schwieg. Lotta wartete, aber nichts geschah. Das war denn doch seltsam, fand sie, denn sie fühlte sich mit ihrem Geständnis nun allein gelassen. Was sollte sie denn nun mit dem anfangen, was sie zum allerersten Mal in dieser Form ausgesprochen hatte? Sie rief sich ihre Äußerungen noch einmal ins Gedächtnis. Glaubte sie wirklich nicht, dass sie in Mathe besser werden konnte? Glaubte sie wirklich nicht, dass sie Talent zum Fußballspielen hatte? Nein… und irgendwie doch, andernfalls wäre sie nicht so frustriert gewesen. Das war schon ganz schön kompliziert mit den Dingen, die man so vor sich hin glaubte.
„Was würdest Du sagen, wenn das alles Deiner besten Freundin passiert wäre?“ Lotta stutzte. „Meiner besten Freundin? Laura? Äh… der würde ich sagen… dass sie nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hat und dass sie doch nur mal glauben sollte, was der Sportlehrer ihr sagt. Dass sie mal glauben sollte, dass sie toll ist und dass sie was kann… ach…“ bei den letzten Worten wurde Lotta’s Stimme leiser, denn sie verstand, was ihr die Stimme mit der Frage sagen wollte. „Du meinst, bei mir ist es genauso?“ fragte Lotta und im Grunde war es ja auch logisch. „Aber wieso machte man sowas mit sich? Das ist doch total verrückt!“
„Selbstzweifel sorgen dafür, dass Du die Bodenhaftung nicht verlierst und Dich selbst nicht zu wichtig nimmst. Doch werden sie zu stark, wird es immer schwerer, sie zu überwinden. Du wirst abhängig von der Anerkennung durch Andere, weil Du selbst sie Dir versagst. Es erscheint Dir immer einfacher und sicherer, Dich hinter Deiner vermeintlichen Kleinheit zu verstecken. Im nächsten Schritt brauchst Du ständig Anerkennung von außen um überhaupt funktionieren zu können, dann bremsen Dich Deine Selbstzweifel nur noch aus. Das nutzt dann aber niemandem mehr, weil Du Dich nur noch versteckst und Deine Stärken nicht mehr lebst.“
„Okay… klingt irgendwie… vernünftig.“ Lotta nickte, doch in ihrem Kopf war ein wildes Durcheinander an Erkenntnissen, Glaubenssätzen und Gegensätzen entstanden. „Und was soll ich jetzt tun?“ fragte sie ratlos. „Sei mutig und neugierig!“ riet die Stimme. „Aha. … äh… wie genau?“
In Lotta’s Kopf stapelten sich die Fragezeichen. „Geh einfach davon aus, dass das Leben Dir immer wieder Hinweise gibt. Jede Gelegenheit ist eine Einladung, eine neue Erfahrung zu machen und Dich selbst kennen zu lernen. Vielleicht ist nicht jede Erfahrung angenehm, aber in jedem Fall wertvoll. Wenn Du Angst hast, Dich zu blamieren, dann mach‘ Dir klar, dass Du wahrscheinlich grade dabei bist, Dich zu ernst und zu wichtig zu nehmen. Versuche zu erkennen, ob es sich um eine echte Gefahr handelt oder ob Du Dich mehr um Dein Image sorgst. Mut! Es wäre zu schade, wenn die Welt auf Deine Gaben verzichten müsste.“ „Aha… welche Gaben denn?“… wollte Lotta wissen, noch immer ein wenig ratlos. Die stimmt kicherte glucksend. „Finde es heraus!! Geh dahin, wo die Freude ist! Dort, wo sie ist, geht Dein Weg lang!“ Die Stimme rief ihr diese Sätze wie aus der Ferne zu und verhallte langsam. „Geh dahin, wo die Freude ist…“ wiederholte Lotta für sich und ein Lächeln erwärmte ihre Gedanken. „Das ist schön… mein Weg geht da lang, wo die Freude ist…“ seufzte sie, immer noch lächelnd. Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie gar nicht merkte, wie sich ihre Umgebung einmal mehr im Nebel auflöste.
Lotta hing ihren Gedanken nach und versuchte, alles für sich zu sortieren. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie fühlte, dass ihr irgendetwas ihr den Rücken wärmte. Sie guckte hoch und sah sich auf einer Bank am Rande des Gehwegs sitzen, den sie vor gefühlten Stunden im Nebel eingeschlagen hatte. Der Nebel war endgültig der Sommersonne des späten Nachmittags gewichen, die nun Lotta den Rücken wärmte. Nur etwa hundert Meter vor ihr führte die Bundesstraße vorbei, die sie nach Hause bringen würde.
Lotta stand auf und schwang sich auf ihr Fahrrad. Sie war voller Tatendrang und hatte plötzlich große Lust herauszufinden, welche Einladungen das Leben für sie parat hatte und welche Gaben sie in sich finden würde. Eine Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte, hatte sie bereits….